Axel Schwarz & Sandra Hartbach veranstalten seit über 10 Jahren das Shuffle Café, Wiens wöchentliches Balboa & Laminu Social. Sie legen dort regelmäßig als DJs Statler & Waldorf mit den original Schellacks aus der Swing Ära auf. Im Interview erzählen sie über ihre Leidenschaft für diese 78er Schallplatten.
Wie seid ihr dazu gekommen mit Schellacks aufzulegen und sie zu sammeln?
Axel: Stephan Wuthe hat für uns erstmals bei der VBLE 2016 mit Schellacks aufgelegt. Davor hab ich immer behauptet die Musik entsteht eh im Kopf, man hört es, aber die Qualität ist nicht so entscheidend. Stephan hat mich eines besseren belehrt. Dadurch dass es analog ist, ist der Klang so schön rund und voll.
Das hat uns angefixt und 2016 habe ich angefangen, nach Platten, Grammophon etc. zu suchen.
Axel & Sandra. Foto: Robert Herbst
Bringt das Grammophon nochmal Vorteile beim Hören?
Axel: Jein – das Grammophon benutzt man nur zu Demo Zwecken. Es schadet in Wahrheit den Platten, weil es eine rein mechanische Übertragung der Schwingung von der Nadel zum Schall ist. D.h. ich muss die gesamte Energie aus der Schwingung der Nadel ableiten, die dann als Schall zu hören ist. Das verursacht viel Reibung und ist natürlich eine wahnsinnige Beanspruchung.
Sandra: Da kommt ganz viel Gewicht auf die Nadel. Das muss man sich vorstellen wie Nagel: Je dünner der Nagel umso leiser, je dicker umso lauter. Auf der Platte sind somit bis zu 250g Druck – das ist nicht gut für das Material. Man muss auch nach jeder Platte die Nadel auswechseln.
Axel: Wir verwenden jetzt gewöhnliche Plattenspieler aus den 70ern, die mit 78 rpm laufen. Allerdings haben wir spezielle mono geschaltene Tonköpfe drauf, weil die Platten ja nur Mono sind. Wir nutzen auch spezielle Nadeln, die einen weiteren Radius haben, weil die Rillen breiter sind.
Bei Vinyl Schallplatten gab es ja ein Revival. Kommt bei Schellacks Neues nach?
Sandra: 2011 gab es von den Beach Boys eine 78er Edition, aber das ist nur eine Vinyl, die auf 78 dreht. Bei Schellacks kann man die technisch Entwicklung von Kunststoff beobachten, wie sich über die Jahrzehnte dieses Material verändert hat.
Von den 1910ern bis in die frühen 1950er hat man immer was Neues zusammengemischt, damit die Platten weniger brechen und die Qualität hält. Es gibt nicht die eine Schellack Mischung, die man nachbauen kann, jeder hat ein bisschen was anderes gemacht.
Das wäre ja auch widersinning, weil Vinyl hält länger, ist leichter und zerbricht nicht. Wir schleppen mit unseren Schellacks viele, viele Kilos mit. Und wenn es mal Kracks macht, ist eine Platte dahin. Es hat schon Vorteile, dass Vinyl kam. Bei Schellacks kommt also nichts Neues nach.
Axel: Die letzten wurden in Europa und Nordamerika rund um 1958 produziert. Jüngeres gibt’s fast nicht, ganz wenige in Indien und Südafrika usw. in den 70ern. Andererseits: Schellacks gab es ab dem späten 19. Jh. bis 1958, also gute 60 Jahre lang. Die LP hat sich bei weitem nicht so lang gehalten, die gab es von den 60ern bis Mitte 80er dann wurde es von der CD abgelöst. Also waren Schellacks das beständigere Medium.
Sandra: Wir sind draufgekommen, es ist fast eine Umkehr von Moore’s Law. Zuerst gab es sehr lange Schellack, dann war Vinyl ca. drei Jahrzehnte das populärste Medium, dann hatte wiederum die CD fast nur halb so lang Bestand.
Die Entwicklung der Schellacks und des Swing gehören also zusammen?
Sandra: Absolut. Swing war die Pop Musik der damaligen Zeit.. Es gab auch eine Latin Welle damals und viele Schellacks mit Tango Argentino. Aber Swing war damals absolut hip, Bennie Goodman war sowas wie der Justin Bieber der 30er Jahre. Insofern haben wir Glück, dass wir Swing-Schellacks sammeln.
Axel: Vinyl kam nach der Swing Ära, Mitte der 50er. Da gab es dann die Micro Grooves, die schmale Rillen, womit man LPs gemacht hat, die länger gelaufen sind. Es gibt auch 78er Platten aus Vinyl, das Material und die Geschwindigkeit sind zwei unterschiedliche Entwicklungen.
Was macht die Faszination der Schellacks für euch aus?
Sandra: Wir leben in einer Zeit, die sehr beliebig ist. Du hörst Musik auf spotify, du kannst jederzeit auf alles zurückgreifen.
Bei Schellacks ist das nicht der Fall. Du hast ein Commitment auf eine spezielle Platte, die du suchst, und kommst drauf, davon sind nur 200 Stück produziert worden. D.h. die Musik ist nicht beliebig und das Element Platte ist genausowenig beliebig.
Beim Auflegen hat es auch was Besonderes: Jede Platte hat ihren individuellen Sound, weil jede anders abgespielt wird. Manche haben wir von einem DJ aus Australien, der genau aufgeschrieben hat, wie oft er sie gespielt hat. Manche kommen aus dem Keller von der Urstrumpftante und waren 15 Jahre verschimmelt. Jede Platte klingt anders.
Und was mir daran so gefällt: Wie viele neue Sachen du entdeckst. Wir Swingtänzer tanzen zu den tollen Nummern, zu The Best Of. Es gab aber auch viel dazwischen und es gibt viel Unentdecktes. Dann gehst du suchen, denkst dir: Den kenn ich nicht, hören wir uns den an. Dann denkst dir: Oh, das ist aber super! D.h. obwohl das 80-90 Jahre alte Musik ist, wo es nix Neues gibt, hast du immer was Neues zu entdecken.
Dann noch der Sound: Du lernst, anders zuzuhören. Als wir unsere Platte aufgenommen haben, haben wir sie komplett analog, ohne Verstärkung aufgenommen. Und auf den Schellacks hast du alles, aber du hast keinen Bass. Was sind wir heute gewöhnt? Bass.
Somit hörst du anders, und plötzlich hörst du eine Gitarre die anders ist, du hörst eine Geige, die du vorher nicht gehört hast. Das find ich faszinierend.
Axel: Beim Auflegen ist es auch ganz anders. Du hast du diesen haptischen Eindruck. Du nimmst dieses Platte, da ist genau 1 Lied auf einer Seite, du legst sie auf, du spielst dieses Lied.
Es ist nicht einfach nur ein Mausklick und im Hintergrund hast du eh 10.000 andere Titel. Wir werden heute Abend ungefähr 100 Nummern spielen. Wir haben 300 mit – wir spielen heute also ein Drittel dessen, was wir mithaben. Aber was wir nicht mithaben, das geht heute einfach nicht. Somit ist auch das nicht beliebig.
Es ist ein haptisches Vergnügen dieses Lied wirklich physisch auf den Plattenteller zu legen. Darum macht uns das Auflegen damit auch so viel Spaß, weil es für uns selbst eine ganz andere Beschäftigung ist – jedes Lied hat eine viel stärkere Bedeutung, als wenn ich nur irgendwo draufklicke.
Sandra: Auch weil es der original Träger ist. Wenn du jetzt 45er Vinyl nimmst und die Musik dieser Zeit spielst, dann wurde das von einer Schellack auf eine Platte übertragen, das klingt dann wirklich schlechter. Weil durch die Vorverstärkung und diese anderen Rillen verlierst du Soundqualität. Deswegen legen wir sehr gern mit Schellacks auf statt mit Vinyl.
Welche Platten sucht ihr gerade?
Sandra: Es gibt eine jüngere Platte von Renato Carosone – Tu Vuò Fa’ L’Americano, die haben wir drei Mal gekauft und drei Mal geschafft sie gebrochen geliefert zu bekommen, weil sie nicht gut verpackt wurde. Also wir sind bisher an dieser Platte gescheitert, von der man denkt, sie ist nicht schwer zu besorgen.
Wir haben auch südafrikanischen Swing oder argentinischen Swing. Da ist es teilweise sehr schwer ranzukommen. Da stößt du auf eine Platte aus einer aufgelösten Erbschaft und kommst drauf, die Band ist ein Wahnsinn oder dieses Orchester, und dann suchst du das und findest einfach nicht mehr davon.
Axel: Es gibt einige wirklich seltene, die wir auf unserer Suchliste haben, wo ich mich freu wenn es eine Nachricht gibt. Z. B. von einer deutschen Band such ich sehr intensiv, Die Goldene Sieben, die haben späte 30ern bis in die 40er hinein in Berlin ein paar Aufnahmen gemacht. Da sind sehr viele interessante B-Seiten, die findet man fast nicht. Da hab ich 4-5 Nummern, die ich unbedingt noch finden möchte.
Sandra: Jenseits von Swing ist es bei mir der Bossa Nova, der erst angefangen hat zu der Zeit. dh. da gibts gar nicht so viel. Es ist wie beim Websurfen: Du klickst auf einen Link und kommst drauf, oh, da gibt’s ja noch was anderes, da klickst auf den nächsten Link. Nur ist unser Surfen teurer und schwieriger.
Wie viele Schellacks habt ihr und wie viele kauft ihr monatlich?
Axel: Ungefähr 7.000 zur Zeit. Wenn du rechnest, dass wir das seit sechseinhalb Jahren machen, dann kommst auf einen Durchschnitt von fast 3 Platten pro Tag. Aber mittlerweile kaufen wir weniger, dafür wahrscheinlich auch teuerer, weil die Klassiker, die in 100.000er Auflagen produziert wurden, haben wir schon und jetzt wird’s immer spezifischer.
Wie groß die Schellack Community im deutschsprachigen Raum?
Sandra: Es gibt mehr als man glaubt. Einerseits die, die wie wir Musik für Tänzer machen. Die Pandemie hat uns den Alex Richard aus Strasbourg gebracht, den wir vorher nicht gekannt haben. In Deutschland gibt es neben Stephan Wuthe z.B. Fabian Nilius und einige andere, die für die Swing Szene auflegen. In Tschechien gibt es einige, die wir noch nicht kennen.
Dann gibt es noch die andere Community: Die Sammler. Da gibts ganz schön viele. Die Schnittmenge von Leuten wie uns und den Sammlern ist sehr, sehr klein. Weil Sammler ticken anders.
Axel: Die suchen spezielle Pressungen oder vollständige Ausgaben von bestimmten Labels. Uns geht es rein ums Tanzen. Uns es ist fast egal, wo die Schellackplatte verlegt wurde oder wann sie rausgekommen ist, solange die richtige Nummer drauf ist, die uns zum Tanzen motiviert.
Was sind besondere Stücke in eurer Sammlung?
Axel: Wir haben einiges was sehr außergewöhnlich ist. Heute haben wir z. B. südafrikanische Aufnahmen von den Manhattan Brothers mit. Das war die erste Band, bei der Miriam Makeba mitgesungen hat. Die haben in den 50ern großartige Township Jazz und Kwela Jive Aufnahmen gemacht. Wunderbare Sachen zum Tanzen, die sind echt schwer zu finden.
Wir haben ein paar Platten von obskuren Bands, z. B. gab es diese Propaganda Band Charlie and His Orchestra, die Goebbels eingesetzt hat. Da gibt es Aufnahmen, die wurden nur für Radiostationen gepresst, die sind dann auch historisch was wert.
Und wieder ganz andere Richtung: Wir haben z. B. Zydeco Platten aus Louisiana. Clifton Chenier war hier einer der Vorreiter mit französisch gesungenen Stücken mit Akkordeon. Er hat glaub ich nur 5 oder 6 Platten auf Schellack oder 78 veröffentlicht, die sind dann ’56, ’57, ’58 gerade noch rausgekommen. Wir haben vier davon. Auch sehr speziell und schwer zu finden.
Und eine vierte Sache: Wir haben auch obskuren Swing aus der Sowjetunion, wo man überhaupt nicht damit rechnet, dass es das gibt. Ein Händler in der Ukraine hat das plötzlich angeboten. Da freut man sich, dass man überhaupt erkennt, was das ist. Denn man kann diese Nummer nicht googlen oder “shazammen”, da muss man ungefähr wissen, was da kommt.
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Vergnügen mit euren Schellacks!
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Gespräch vom 3. Dezember 2022 mit Thomas im Rahmen der SLIH & Friends Reihe.