Christian Fischer, unser langjähriger Teacher-Fixpunkt und Freund, hat im September 2021 seine “Trainer-Pension” verkündet.
Wir wollen uns für die vielen schönen Stunden mit ihm in den Kursen bedanken und nutzen die Gelegenheit für ein Interview zu seiner tänzerischer Vergangenheit und seiner beruflicher Gegenwart.
Wie war die Anfangszeit des Lindy Hop in Wien aus deiner Sicht?
Wenn ich ganz am Anfang beginnen soll dann gehen wir weit in die 1990er Jahre zurück. Benjamino Cantonati hatte sehr früh (ich glaube Ende der 1980er- oder Anfang der 1990er-Jahre) eine kleine Truppe gemeinsam mit Kurt Bieler und Regina Förster. Soviel ich weiß waren sie die absolut Ersten, die sich in Wien mit Lindy Hop beschäftigten.
Das hat sich dann zerschlagen und Benjamino gründete den Verein Some Like It Hot, mit dem er noch ziemlich ohne eigene Struktur und in einem winzigen Schulturnsaal in der Stiftgasse die ersten Kurse unter der Flagge des Boogievereins Rock Dock Teddys anbot.
Zu der Zeit, als meine Ex-Frau und ich auf Lindy Hop stießen (wir waren nach unserem Ausstieg aus der Rock’n’Rock Akrobatik auf der Suche nach neuen tänzerischen Herausforderungen) fanden bei Benjamino verletzungsbedingt keine Kurse statt, und wir kamen mit Kurt auf keinen grünen Zweig.
Wir haben Benjamino dann bei einer Boogiemeisterschaft im Wiener Metropol getroffen und mit ihm besprochen, dass wir zwei, drei interessierte Paare sind und gerne Unterricht hätten. Er hatte auch noch ein paar Leute und so hat er Ende der 1990er-Jahre begonnen, uns in Lindy Hop zu unterrichten. Seine Partnerin damals: Barbara ‘Betty’ Jascht, die damalige Sängerin der ziemlich einzigen existierenden Swing-Band in Wien: Five in Love with Betty.
Die ersten Jahre waren wirklich hart, was die Lindy-Szene betrifft. Es gab de facto nichts, wo wir hingehen konnten, um zu tanzen. Ab und zu knapp vor Weihnachten einmal ein Bigband-Konzert (die allerdings meist Dixieland spielten und keinen Swing hatten) oder eben das Highlight der Zeit: seltene Auftritte von Five in Love, denen wir wie Groupies nachreisten… oder die damals noch eher sehr seltenen internationalen Workshops in erreichbarer Distanz in der Schweiz und zu Ostern in Landsberg in Deutschland. Das absolut Beste war Herräng in Schweden – dafür nahmen wir einen Trip mit dem Campingmobil in Kauf und verbanden das Camp mit einem 3-wöchigen Schwedenurlaub.
Ein weiterer Meilenstein war noch das Jahr 2004: Benjamino hatte sich in den Kopf gesetzt, den legendären Tänzer Frankie Manning nach Wien zu holen und den ersten internationalen Lindy Hop Workshop in Wien zu organisieren. „International“ war es zwar nicht wirklich – nur ein paar wenige Nicht-Einheimische verirrten sich her – aber es war trotzdem ein grandioses Wochenende.
Man sollte wissen, Frankie war damals 90 Jahre alt. Es gelang unter Einsatz aller verfügbaren freiwilligen Kräfte und mit dem ungeteilten finanziellen Risiko von Benjamino, Frankie in Wien zu begrüßen und mit ihm ein unvergessliches WS-Wochenende zu organisieren.
Der 90-Jährige war abseits der Tanzfläche ein wirklich alter Mann, aber kaum betrat er das Parkett, hatte er die Energie und den Schwung eines Jungen – er konnte uns restlos begeistern für den Tanz seines Lebens.
Der Rest ist „Geschichte“… Mit dem Aufschwung von Swing in den Mainstream und die eindeutige Verjüngung des musik- und tanzbegeisterten Publikums wuchs die Szene ab ca. 2007, 2008 rasant und ich denke Some Like It Hot kann mit Stolz behaupten, DER Lindy Hop Verein in Wien zu sein, aus dem sich die gesamte Wiener Szene entwickelt hat.
Erzähle uns bitte von deinen neuen Projekten.
Covid hat meine Trainertätigkeit bei SLIH ja so wie von uns allen von einem Tag auf den anderen auf Null gesetzt. Aber auch beruflich – ich bin freischaffender Grafikdesigner – hat die Pandemie einschneidende Veränderungen in meinen Alltag gebracht.
Keine persönlichen Kontakte, keine Treffen mit PartnerInnen oder KundInnen, Rückzug auf ausschließliches Homeatelier (ich war davor immer wieder projektweise auch direkt bei Agenturen vor Ort tätig). Zum Glück hat sich meine KundInnen-Struktur als relativ krisenfest erwiesen und ich musste nie um meine Existenz bangen, aber einige Ausfälle gab es doch.
Ich habe diese frei gewordenen Kapazitäten für eine universitäre Zusatzausbildung an der New Design University in St. Pölten genutzt und in einem Lehrgang das Diplom zum akademisch geprüften Buchgestalter gemacht. Seit 14.10.2021 darf ich mich ganz offiziell so nennen. 🙂
Also um es abzukürzen: meine neuen Projekte fokusieren auf das Thema Buchgestaltung. Hier werde ich in Zukunft verstärkt arbeiten und in diese konzeptionell und technisch höchst anspruchsvolle Designdisziplin meinen beruflichen Schwerpunkt legen. Mein Diplomprojekt – ein Buch über 20 Jahre SONNE-International – ist ansatzweise in dieser Slideshow hier zu sehen.
Bei Interesse könnt ihr es gegen eine Spende direkt bei SONNE-International beziehen oder euch mit mir verabreden für ein „Gestaltergespräch“ 🙂
Hast du eine besondere tänzerische oder Trainer-Erinnerung, die du mit uns teilen magst?
Von meiner Trainertätigkeit bei und für SLIH kann ich nur sagen, dass ich das, was ich auf der Homepage in der Eigenbeschreibung schon vor etlichen Jahren geschrieben habe, immer versucht habe weiterzugeben: die Freude und die Energie, die speziell dieser Tanz – der Lindy Hop – für mich ausmacht. Das ist mir hoffe ich auch gemeinsam mit meinen immer großartigen Trainerpartnerinnen (DANKE!!!!!!) im Großen und Ganzen gelungen.
Gerne schaue ich auf die vielen Workshops zurück, an denen ich teilnehmen durfte. Mein allererster WS in Luzern hat mir die Augen geöffnet, WAS Lindy Hop ist und wie wichtig der soziale Aspekt – nicht umsonst werden Lindy-Veranstaltungen Socials genannt – ist. Weitere folgten in Landsberg, München, Herräng, Budapest,… nicht zu vergessen der von uns in Wien etliche Jahre organisierte Vienna Hot Swing Jam.
Nicht vergessen werde ich auch unsere Tanzeinlagen für den Film Schlurf – Im Swing gegen den Gleichschritt, der Dokumentation über Swing Kids in Österreich. DAS war ein prägendes Ereignis!
Die Drehlocation war das große Schutzhaus im Rosental in Wien und wir waren vier Paare. Fatima Spar spielte mit ihrer Band live und wir durften/mussten dazu tanzen.
Es war tatsächlich unglaublich schnell für unsere damaligen Fähigkeiten und wir waren nach dem Dreh total erledigt – es war eine tolle Erfahrung und ein großes Erlebnis!
Zuletzt möchte ich mich noch gerne an den Dreh für das Musikvideo Louie Austen – Shake Your Bones zu erinnern. Gemeinsam mit Sandra Krulis gaben wir die tänzerische Interpretation des Songs und wurden dafür von der Visagistin Frieda P. unglaublich kunstvoll geschminkt.
Der Drehtag im April war alles andere als frühlingshaft – es war saukalt – und wir sind zwischen jeder Drehsequenz in alles geschlüpft was wir mit hatten und zwischendurch dann auch immer öfter ins Café am Karlsplatz geflüchtet, je länger es dauerte.
Auch das ist ein unvergessliches Erlebnis, das mein (Tanz)leben unglaublich bereichert hat.
Alles in allem bin ich Benjamino und der gesamten Some Like It Hot Crew sehr dankbar für mehr als zwei intensive, wunderbare gemeinsame Jahrzehnte, in denen ich Teil dieser feinen Truppe sein durfte. DANKE EUCH ALLEN für viele wundervolle Momente, Moves, Takte, Nummern, Einlagen, Gespräche, Stunden, Abende, Tage, Wochen, Monate, Jahre … 🙂
Wir danke DIR, lieber Christian, für alles was du für den Verein und die Wiener Swing-Szene getan hast und freuen uns auf ein Wiedersehen auf der Tanzfläche
E-Mail Interview von Thomas im November 2021 im Rahmen der SLIH & Friends Reihe.